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An einem der letzten Montréal-Tage laden R. und ihr Freund Su und mich zu einer kleinen Wanderung auf den Mont St. Hilaire ein. Rund um die Stadt brechen viele dieser kleinen Berge wie Fremdkörper aus der Ebene heraus: Mont Royal, Mont St. Bruno, Mont St. Grégoire. Der Mont St. Hilaire bildete den Hintergrund des Panoramas, das ich monatelang fast täglich vor Augen hatte, während ich in der veganen Essensfabrik im zehnten Stock Brownies einschweißte. Mal schneebedeckt, mal erdbraun, mal sattgrün in der Abenddämmerung. Ich hatte mich oft gefragt, wie es wäre, den Blick umzukehren.

Der Vorortzug hält fast am Fuße des Hügels, wenn man von der südlichen Flanke aufsteigen möchte. Um zu dem Pfad zu gelangen, den ich auf der Landkarte ausgesucht habe, muss man durch eine noble Vorortsiedlung spazieren. Die Häuser sehen aus, als wären sie, fabrikgefertigt, mittels Hubschrauber hier abgesetzt worden. Zahme Kinder spielen gelangweilt in sauberen Vorgärten. Die Fassaden sind aus künstlichem Naturstein und in die Garagen passen zwei SUV. Vor jedem Haus steht ein neuer Barbecue-Grill mit zwei Etagen.

Hundert Meter hinter dem Pfad fangen uns zwei Parkwächter ab. Sie fragen nach der Mitgliedskarte. Diesen Hügel kann man nicht einfach so hinaufgehen. Besucher werden gebeten, am Haupteingang eine Eintrittskarte zu erwerben. Der Nahverkehr führt nicht bis dort hin. Uns bleibt nur, ein Taxi zu rufen, wenn wir am Abend den einzigen Zug zurück in die Stadt erreichen wollen.

Der Freund von B. teilt uns mit, dass kein Uber in der Nähe sei und seine drei Taxi-Apps hier nicht funktionierten. Auf die Idee, sein Telefon zum telefonieren zu verwenden, kommt er nicht. Telefoniert überhaupt noch irgendjemand? Der herbeigerufene Wagen kommt uns teuer zu stehen. Er fährt uns einmal um den gesamten Hügel herum, weil der direkte Weg zum Eingang versperrt ist. Oben ist es diesig. So eben erkennt man den schiefen Turm des Olympiastadions. Die übrige Stadt ist in Nebel gehüllt.

Ich weiß nicht, wie Su das jedesmal schafft, aber auf dem Rückweg nehmen uns zwei Franzosen in einem klapprigen Geländewagen mit. Es sind PVTistes, wie wir. Drei quetschen sich in die Rückbank, Su fährt zwischen den klirrenden Bierflaschen im Kofferraum mit.

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Nested memories. Der bail ist noch nicht abgelaufen, aber mein Vermieter hat ein großes Herz und ist ohnehin zur Zeit auf Kuba -- oder schon auf dem weg nach Vietnam. An einem der ersten richtigen Sommertage verlasse ich also die chaotische Wohngemeinschaft, die Mäuse, und den hübschen Balkon mit den wuchernden Ranken. Su und ich haben zwei Straßen weiter eine Zwischenmiete gefunden. Die Interimsvermieterin muss für ein paar Wochen nach Griechenland. Man versteht sich blendend, und die Sache ist ausgemacht. Es ist die Erdgeschosswohnung eines Montréal-typischen Duplexes mit einem kleinen Hinterhofgarten, für den zu sorgen wir gern versprechen. Hier braucht man einen Garten oder Balkon. Doch selbst, wer das nicht hat, quetscht zwei Liegestühle auf die front porch, sobald es draußen nicht mehr friert.

Die Interimsvermieterin hat eine Freundin, die bei der Wohnungsübergabe kurz hereinschneit um irgendwas vorbeizubringen. Sie hat ein kleines Cottage und hinterlässt eine Visitenkarte. «Legt einfach fünfzig Dollar in die Schublade. Der Schlüssel ist unter dem Aschenbecher», schreibt sie ein paar Tage später.

Etwas kleineres als einen Jeep hat die Autovermietung nicht. Also nehmen wir den. Mitten in die ländliche Gegend rund um Mirabel, eine Dreiviertelstunde westlich von Montréal, ließen durchgeknallte Stadtplaner Mitte der Siebziger einen Flughafen bauen. Als die Bagger anrückten, ging der Optimismus der Weltausstellung 67 gerade zu Ende; die Québec-nationalistische Sprachpolitik hatte begonnen, Banken und viele andere Unternehmen nach Toronto zu vertreiben. Von den vierhundert Quadratkilometern (größer als die Stadt Montréal selbst) wurden schließlich kaum die Hälfte realisiert. Am Ende wollte niemand von Mirabel fliegen – zu weit enfernt von der Stadt, zu schlecht angebunden. Die leeren Terminals dienen noch als Filmkulisse, insofern sie nicht bereits abgerissen sind.

Mit Mirabel im Rücken verändert sich die Landschaft. Der urban sprawl weicht Bauernhöfen und Wäldern, die sich in sanfte Hügel schmiegen. Hinter LaChute verlässt man die Autoroute 50. Die Straße windet sich wie eine Raupe hinauf nach Dalesville. Es gibt genau ein Geschäft in diesem Dörflein, einen Dépanneur. Pannenhilfe – so nennt man in Québec einen Kiosk. Der Inhaber verkauft ganzjährig gewaltige Kisten mit Feuerwerk. «Irgend ein Fest ist ja immer», sagt er, und kann mein Staunen nicht verstehen.

Der Schlüssel liegt tatsächlich unter dem Aschenbecher. Zum Cottage gehört ein kleiner See. Das Ankunftsbier trinken wir gleich auf dem Steg. Der Wind kräuselt das schwarze Wasser; auf den Steinen sitzen Kaulquappen, groß wie Molche. Ein Bieber zeigt sich kurz und verschwindet für die nächsten Tage. Die Frösche sitzen dick am seichten Ufern und bleiben stumm bis die Sonne untergeht. Dann quaken sie ein seltsames Lied, dass ich eher Eseln zugetraut hätte. In den Sternen scheint sich etwas zu bewegen. Sternschnuppen die nach oben fallen? Erst beim dritten Blitzen fällt mir ein, dass ich zum ersten mal Glühwürmchen sehe.

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Die letzten Tage in Kanada. Abschiedstreffen sind zu organisieren, Wiedersehenstreffen daheim. Es werden kurze Wiedersehen, dann gleich wieder Abschiede, sobald es nach Wien geht. Die Tage sind zu kurz für alles. Die Koffer liegen halb gepackt auf dem Boden, Stapel bilden sich darum. Zu Hause kündigt die Bank das überzogene Konto.

Montagabend ein Bummel über das Jazz-Festival, zu müde, um mich um Programmpunkte zu kümmern oder in der Menge zu stehen. Wir setzen uns in einen kleinen Park auf St Catherine, in dem irgendein Sponsor bequeme Stühle zwischen den Hochhäuser platziert hat. Heute gelten weder Rauchverbot noch public-drinking-laws. Das Heineken ist kalt. Die Luft bleibt heiß, die ganze Nacht über.

Karaoke bis vier Uhr morgens in einer Bar im Village. Su versucht ein Duett mit J., der aber, mit geschlossenen Augen singend, für sich bleibt. Ich bin nicht mutig genug oder nicht ausreichend betrunken. Zum Glück ist es bald zu spät, um sich noch auf die Liste einzutragen.

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