zer o_c omments

wieder ist einer politikerin der doktortitel aberkannt worden. dass es mit annette schavan ausgerechnet die für wissenschaft zuständige bildungsministerin trifft, ist besonders peinlich. vielleicht wird eine kabinettsumbildung die folge sein. das wäre auf eine weise konsequent: die öffentlichkeit (i.e. twitter) hat wieder einmal über politik im register der persönlichen moral «debattiert». die antwort darauf ist eine veränderung des politischen personals. neues gesicht, gleiche politik.

moralische empörung kann zu politischem handeln motivieren, mitunter substituiert sie politisches handeln aber auch nur. (der "große andere", den wir mit unserer empörung anrufen, und dessen identifikation wir damit erneuern, erledigt die politik dann für uns.) ich würde gern genauer darüber nachdenken, unter welchen bedingungen moralische empörung welche dieser entgegengesetzten wirkungen zeitigt. im augenblick fällt aber vor allem auf, dass beides gleichzeitig möglich ist: die politische veränderung besteht darin, dass schavan aller voraussicht nach beseitigt wird. die öffentlichkeit sieht sich in dem bestätigt, was sie immer schon wusste: dass «die» da oben korrumpiert sind und «uns» ehrliche leute belügen. wie befriedigend, dass nun die lügnerin davon gejagt und die gerechtigkeit wieder hergestellt wird. (dahinein mischen sich einerseits die abgrenzungsbedürfnisse und nivellierungsängste der arrivierten – «ich habe für meine doktorarbeit noch richtig schuften müssen», andererseits auch antiakademische impulse – «das doktorat ist ohnehin eitler schmu».)

das publikum hat schavan rausgevotet. ganz demokratisch. ich glaube nicht, dass das unbedingt falsch ist. nur spielt schavan in diesem koordinatensystem der politischen empörung die rolle eines völlig austauschbaren mcguffins. «wie war sie als ministerin» ist keine frage, die in diesem zusammenhang gestellt werden kann, obwohl es die eigentlich interessantere ist. dass schavan den umbau der bildungseinrichtung universität zur standardisierten ausbildungsfabrik vorangetrieben hat, dass sie studiengebühren befürwortet, dass sie an den schulen den religionsunterricht verankert sehen möchte, dass sie auf drittelmitteleinwerbung und spitzenförderung setzt und damit forschung nach der logik der betriebswirtschaft ausrichtet (was, nebenbei bemerkt, nicht einmal dem offiziösen ziel der effizienz gerecht wird, sondern vor allem einen gewaltigen overhead an antragsbürokratie zur folge hat) – das sind nicht die themen, über die schavan gestolpert ist. all das sind, genau genommen, sogar überhaupt keine themen.

schavan ist kein guttenberg. guttenberg hatte sich als lichtgestalt inszeniert und einen gewaltigen popanz aufgebaut, der spätestens mit seiner plagiatsaffäre zu recht in sich zusammengebrochen ist. die empörung und angeekelte abwendung des publikums war adäquat, denn es kam hier gerade darauf an, dass die öffentlichkeit sich selbst darüber aufklärte, dass der kaiser gar keine kleider an hat. guttenberg war von anfang an nur persönlichkeit. bei schavan gibt es kein charisma, das es zu zerstören gälte, um die im falle guttenbergs dahinterliegende mischung aus unfähigkeit und nepotismus zu entbergen.

auch im hinblick auf die frage, ob denn nun schavans arbeit wissenschaftlichen ansprüchen genügt, ist die debatte verengt. der umfang der beanstandeten stellen ist viel geringer als etwa bei der dissertation guttenbergs, der seitenweise abgeschrieben hatte. vroniplag hatte die verfehlung als nicht gravierend genug eingeschätzt, um sie zu veröffentlichen. es ist fraglich, ob die beanstandeten stellen eine täuschungsabsicht belegen können oder ob man nicht doch, im sinne der «angeklagten», flüchtigkeitsfehler annehmen muss. natürlich dürfen solche fehler nicht unterlaufen, wenn eine arbeit den zuletzt viel bemühten «wissenschaftlichen standards» entsprechen soll.

wie viele dissertationen sind aber formal korrekt und dennoch wissenschaftlich weitgehend wertlos, da sie über das zusammenstückeln fremder gedanken nicht hinausgehen? auch die minutiöse dokumentierung der einzelnen versatzstücke macht aus so einer arbeit noch keine wissenschaftliche leistung. damit will ich nicht unterstellen, dass die arbeit schavans ihr fach inhaltlich vorangebracht hat. (das weiß ich nicht und kann es auch nicht beurteilen). ich möchte nur auf die juristische engführung der debatte hinweisen. kann bloß im juristischen register über die wissenschaftliche qualität einer arbeit befunden werden? gewiss gibt es mindeststandards im sinne von ausschlusskriterien (bewusste täuschungsabsicht z.b.). doch so lange fraglich ist, ob diese unterschritten sind, ist mir eine formal unsaubere arbeit, die ihr fach inhaltlich voran bringt, lieber, als eine formal saubere fleißarbeit ohne wissensgewinn.

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