zer o_c omments
Mittwoch, 6. Januar 2016 in montréal

das mile end ist die speerspitze der hiesigen gentrification. c. erinnert sich noch, dass dies das garment district war. künstlerinnen, musiker und wichtigtuer (oder einfach «the cool lesbian girls», wie der kollege mit dem joni-mitchell-tattoo sagte) sind von st catherine zuerst auf das plateau, und nun hier hinauf gewandert. die ersten paar blöcke südlich der eisenbahntrasse, zwischen st denis und st laurent, sind geprägt von klotzigen fertigbauten, die auch in archangelsk, bitterfeld oder bratislava stehen könnten. in einigen stockwerken arbeiten noch immer die näherinnen. aber die geschäfte im rez de chaussée sind für eine andere klientel eingerichtet. auf der straßenecke st viateur und casgrain treffen sich ein veganes bistro, eine mode-boutique im stil von j. crew, in der man sich auch den bart stutzen und dabei chai-lattes trinken kann, ein möbelgeschäft mit handgefertigen unikaten, sowie ein yoga-studio, vor dem sich junge frauen und männer mit vorteilhaft derangiertem haar zur begrüßung umarmen.

acht stockwerke weiter oben bereiten a., die anderen und ich nori-wraps mit carrot-daikon zu. a. ist noch keine zwanzig, trägt einen hoch ausrasierten bowl-cut und immerzu rollkragen. er pflegt den habitus eines valley-girls und will mode-design studieren. («i know, it's not very vegan, but i love fur.») erst kürzlich sind er und laura, auf deren rucksack «mon corps, mon choix» steht, aus einem kleinen ort in der mitte québecs in die große stadt gezogen. (ich muss an twin peaks denken). sie will irgendwas mit kunst machen. b. ist morgens unser line manager. er will, mit dem küchendiplom in der tasche, auf einem kreuzfahrtschiff anheuern. abends übernimmt c., der dj war und producer werden will («i am too old for this»). c. spricht «berghain» französisch aus, das h und das n stumm, und die letzte silbe betonend: ber-gah. jeden tag spielt er mindestens ein mal auf meine herkunft an, aber ich verrate ihm nicht, dass ich noch nie im ber-gah gewesen bin. t. ist tellerwäscher und sucht einen dritten mann für seine band. er will wie die stooges klingen, und seinetwegen hört die ganze küche lou reed bei der arbeit. b. vermisst winnipeg. an manchen tagen riecht sie nach alkohol. obwohl sie zierlich und klein ist, geht sie mit langsamen, schweren schritten. wenn du nett zu ihr bist, ist sie auch nett zu dir. die mittagspause dauert eine viertelstunde. die spätschicht geht manchmal bis um neun und manchmal bis um halb drei in der nacht. bezahlt wird mindestlohn nach der stechuhr. auf dem ipad gibt es eine app dafür.

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Montag, 4. Januar 2016 in montréal

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Samstag, 2. Januar 2016 in montréal

man beginnt nie von vorn. man hebt neu an.

am vieux port um mitternacht. bis zu den hosenbeinen im schnee. k. hat champagner mitgebracht, den wir aus der flasche trinken. von allen seiten der Île sind die leute gekommen, um das feuerwerk zu sehen. heute sind die farben rot und weiß, statt blau und weiß, wie noch letztes jahr. wir hören mehr englisch als französisch.

ein gutes stück zu fuß über die rue st denis, zurück hinauf aufs plateau. vor drei (vier?) jahren verbrachte ich hier mit p. eine nacht in einer bar. die stadt erschloss sich uns damals nicht, in den wenigen tagen, die wir hier verbrachten. der lonely planet war unser einziger anhaltspunkt. wortfetzen mit bayrischem akzent aus einer straßenecke im vorübergehen.

das zimmer ist weiß und die bettdecken. vor wenigen jahren reihten sich hier tische mit nähmaschinen aneinander. aus dem quadrat des hohen fensters sehe ich nur den schweren himmel. davor tanzen die flocken. wir zählen die verwegenen, die durch den schmalen spalt ins zimmer schweben. von der warmen luft in hohem bogen hinaufgetrieben, vergehen sie noch vor der landung.

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