zer o_c omments |
Dienstag, 29. April 2014 in protokoll
ein reisetagebuch (unchronologisch): (4) nach sonnenaufgang noch einmal zum 7-eleven und den kleinen bus herangewunken, gespannt, welches der nun schon vertrauten gesichter mir heute begegnen wird. am letzten tag fahre ich zur endstation im norden. gern wäre ich ein weiteres mal durch salzwiesen und sand spaziert, den regenpfeifer zu beobachten und der brandung zuzuhören. aber provincetown war gegenstand zu vieler unterhaltungen, die ich belauscht habe. und wozu ist ein kap gut, wenn nicht dazu, an seiner spitze zu stehen. der bus verbindet die knotenpunkte entlang des state highway 6 und der route 28. suburban sprawl und maritimer kitsch («famous lobster rolls. same recipe since 1954», «pirate adventure golf») wechseln sich mit dunkelgrünen salzmarschen und von pechkiefern umstandenen weihern ab, toteisseen wie walden pond. dazwischen blicke auf den ozean. wenn ein verkehrsnetz das leben derer widerspiegelt, die sich auf ihm bewegen, dann spielt sich der alltag hier zwischen schulen, altersheimen und – auf dem weg dazwischen – vielen shopping-malls ab. stop & shop, star market, CVS/pharmacy heißen die stationen. auch der «patriot square» entpuppt sich als parkplatz, den ein halbkreis aus supermärkten und imbissketten einrahmt. beim umsteigen sehe ich stop & shop girl noch bei der arbeit. sicher wird sie heute abend wieder die letzte verbindung nehmen. ich brauche mich nur eine weile ans wartehäuschen zu stellen, bis jemand fragt, woher ich komme. die geschäfte gehen schlecht, sagt einer, der sich später als william vorstellt und offenbar eifrig den «economist» liest. in diesem jahr werde er zum ersten mal sein häuschen am cape vermieten und den sommer über in new york bleiben. die immobilienkrise, die eurokrise, die hartz-reformen, dann wechseln wir das thema. «she's also from germany», sagt william und deutet auf die kleine gestalt an der straße, lang bevor der bus anhält um sie einsteigen zu lassen. ein roter haarschopf, über den augenbrauen gerade abgeschnitten, rahmt ein schönes, faltiges gesicht. sie trägt mit sternen gemusterte strumpfhosen und über jeder schulter eine tasche aus ungebleichter baumwolle. die füße baumeln in der luft, als sie auf die bank über dem radkasten geklettert ist. deutschland müsse schöner sein, zur zeit, sagt sie. der frühling, bejahe ich höflich, sei etwas weiter als in massachusetts. «no, i mean with all the young people. the old germans, they must certainly all be dead by now.» mit zwölf jahren sei sie ausgewandert, um der mutter zu entgehen, nach kalifornien, natürlich. «now i understand. later you always understand. but back then… yes, it was a refuge.» in provincetown weiß ich nichts mit mir anzufangen, schlendere ein bisschen in die eine, dann in die andere richtung, überlege, die einladung zum «free lunch» in der universalist church anzunehmen, und beschaue dann doch nur den alten friedhof. das örtchen erinnert ein wenig an kampen auf sylt, wenn sich nicht jeder vergleich zwischen atlantik und nordsee von vornherein verböte. auf meinem kurzen streifzug werde ich gleich mehrmals von unvermutet gutaussehenden herren angegraben, was mich so lange überrascht, bis ich festelle, dass die zahl der regenbogenfahnen die der stars & stripes übersteigt. selbst an der kirche flattert eine. ein bisschen san francisco in p-town. ein campanile überragt das städtchen, der dem von siena aufs haar gleicht. er soll an die unterzeichnung des mayflower compact erinnern. ende des 19. jahrhunderts setzte sich unter allen entwürfen ausgerechnet einer durch, der die alte welt repräsentiert. («you shall no longer take things at second or third hand, nor / look through the eyes of the dead, nor feed on the / spectres in books» – as if.) vor einem der hübsch geweißelten holzhäuschen begegnet mir wieder die deutsche aus dem bus. ich bemerke ihre verlegenheit und sie meine. eine meile weiter ostwärts entlang des ufers setze ich mich in einen unverschlossenen garten, der plötzlich die reihe der herausgeputzten häuser unterbricht, und betrachte eine ebenso unvermittelt aufblühende melancholie. art & spezies sind schnell als abschiedstrauer bestimmt, so dass ich erleichtert, fast schwelgerisch und ein bisschen stolz weitergehen kann. endlich. denn ich wollte hier etwas zurücklassen. ein letztes mal begegnet mir die ausgewanderte. ich bin nicht weit herumgekommen in der stadt, gestehe ich, bin weder auf den turm gestiegen, noch mit dem rad bis race point gefahren. «it was a gloomy day, anyway,« sagt sie, und diesmal meint sie das wetter. ich habe mich nicht getraut, um ihr porträt zu bitten. nach sonnenuntergang noch einmal auf den steg hinter dem haus, zu schauen, wie hoch das wasser steht. ... Comment |
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