zer o_c omments
Donnerstag, 11. Oktober 2012 in bverfg

die entscheidung des bundesverfassungsgerichts von vor drei wochen hat in der sache niemanden überrascht. wie erwartet hat der zweite senat "den weg frei gemacht". praktisch hat das urteil eigentlich nur zur folge, dass der bundestag einer esm-kapitalerhöhung zustimmen, und dass der esm den bundestag über interne vorgänge unterrichten muss. denn "ausgabenwirksame solidarische hilfsmaßnahme[n] des bundes größeren umfangs" müssten "vom bundestag im einzelnen bewilligt werden" [rn 214]. da das haushaltsrecht das königsrecht der parlamente ist, darf sich die exekutive hier nicht via brüssel aus der parlamentarischen kontrolle stehlen. dies ergibt sich aus der vom bverfg im urteilstext mehrfach bemühten "verfassungsrechtlich verankerten haushaltspolitischen gesamtverantwortung" [rn 196] des bundestages.

es fällt auf, dass das bverfg die fiskalpolitischen entscheidungsprärogativen des bundestages nur durch mögliche mehrausgaben im zuge europäischer finanzhilfen zur "euro-rettung" bedroht sieht. an dieser stelle pflanzt das gericht ein stoppschild auf. andere (sogar explizite) haushaltspolitische beschränkungen auf eu-ebene sieht es offenbar nicht als bedrohung des parlamentarischen haushaltsrechts an. dazu gehören die defizitgrenzen des fiskalvertrags und die unabhängigkeit der ezb, die weisungsrechte der kommission im rahmen des "europäischen semesters", sowie die abschaffung der kapitalverkehrskontrollen und die tatsache einer gemeinsamen währung überhaupt. diese teils lange vollzogenen autonomieverluste blendet das gericht aus.

man könnte nun sagen, das gericht reagiere zu spät. das urteil käme aus dieser sicht dem versuch gleich, die zahnpasta wieder zurück in die tube zu drücken. die betonung nur bestimmter fiskalischer restriktionen ergibt allerdings dann sinn, wenn man dem gericht eine sehr spezifische vorstellung davon unterstellt, wie der bundestag haushaltspolitik zu machen hat. die grundsätzliche verfassungskonformität des esm-vertrags begründet es nämlich damit, dass mit ihm "die stabilitätsgerichtete ausrichtung der währungsunion ... nicht aufgegeben" werde, die u.a. durch die unabhängigkeit der ezb und die verpflichtung zur haushaltsdisziplin gegeben sei [rn 233]. zwar macht das bundesverfassungsgericht dem bundestag in dieser hinsicht keine vorschriften. doch mit ihrer urteilsbegründung geben die richterinnen und richter ihre präferenz für eine restriktive haushaltspolitik zu erkennen, die dem gegenwärtigen europäischen austeritätsregime entspricht.

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