zer o_c omments |
Dienstag, 29. November 2011 in nyc
der zweite sonntag. für einen feiertag viel zu früh. wir sind noch müde, müssen aber doch rechtzeitig am strand sein. der q-train bummelt träge durch brooklyn, kann sich meinetwegen gern noch länger zeit lassen. der wagen ist leer, ungestört können r. und ich den noch zähflüssigen gedanken hinterherschauen. irgendwann fange ich an, pflichtbewusst im kleinen gelben städteführer nachzuschlagen, die letzten tage zu rekapitulieren. viel zu viel, um alles festzuhalten. zwischendurch weist r. mich an, doch auch einmal aus dem fenster zu schauen: die linie q durchschneidet brooklyn in ganzer länge von norden nach süden. die vielen hinterhöfe, in die man vom gleis aus hineinsehen kann, das plastikspielzeug, zum trocknen aufgehängte wäsche: die metropole sieht hier unten aus wie eine vorstadt, nur weniger ordentlich. kurz vor der endstation durchqueren wir noch einen der drei chinatown-ableger brooklyns, dann schließlich coney island: als erstes tauchen riesige, braune wohnsilos auf, dann das weiße gestänge der ikonischen cyclone-achterbahn. über den boardwalk eilen wir hinunter zum strand, halten ausschau und finden auf anhieb einen haufen johlender menschen in badehosen und bikini. insgeheim hatte ich gehofft, wir wären zu spät, doch bislang ist niemand im wasser. ich schäle mich schnell aus jacke und schuhen – jetzt nur nicht zögern! – und trabe hinterher. tausend kleine nadeln, erst in den beinen dann überall. aber die euphorie der coney island polar bears ist ansteckend. sofortige verbrüderung mit den anderen männern und frauen, von denen die meisten auffällig tätowiert sind. ich mache sogar bei dem seltsamen ringelreihe-spiel mit, fasse meine nachbarn an den händen und stoße fröhlich bescheuerte urlaute im chor aus. ziemlich bald spielt die kälte keine rolle mehr. jemand hat tennisbälle mitgebracht, mit denen jetzt fangen gespielt wird. ich muss mich zur vernunft rufen und das wasser verlassen, bevor ich, hänfling, der ich immer noch bin, wie damals in der dritten klasse blau anlaufe. ein bisschen stolz bin ich dann doch, obwohl die 10 grad wassertemperatur für die echten polarbären unter uns vermutlich nicht der rede wert sind. auf festem boden trockne ich mich ab und ziehe umständlich trockene wäsche an, in dem ich mir als blickschutz ein handtuch um die hüfte wickle. ein älterer polarbär mit ledrig-brauner haut und leuchtend weißem brustpelz sieht das und hält sich den bauch vor lachen. «just kidding», entschuldigt er sich kurz darauf und stellt sich als club-präsident vor. auf meine zögerliche reaktion: «oh, you're from another country!» beim nächsten besuch darf ich mich im vereinsheim umziehen und einen heißen kaffee trinken. schade, dass es jedenfalls in diesem winter nicht mehr der fall sein wird. den dringend benötigten kaffee besorge ich mir an einer heruntergekommenen bretterbude. er wärmt. obwohl ende november die saison längst vorüber ist, und alle fahrgeschäfte geschlossen haben, flanieren noch recht viele spaziergänger über die aus holzlatten gezimmerter strandpromenade. ein pärchen genießt, in plastikstühlen sitzend, den letzten rest sonne (auf ihrem sweatshirt steht: «hauptstadt penner», darunter der beliner bär. ich soll es ihr übersetzen). eine asiatisch anmutende dame lässt von ihrem klapp-fahrrad aus viele kleine drachen steigen. eine kleine schar zuschauer hat sich rund um einen hippiesken gitarristen versammelt, der coney island in bewusstseinserweiternde sounds eintaucht, als wären die eingemotteten fahrgeschäfte («scream zone», «wonder wheel») und die grotesken fieberglas-maskottchen, von denen die farbe abblättert, nicht schon psychedelisch genug. zeitkapsel. in brighton beach verlassen wird die strandpromenade und finden uns in russland wieder. die haupstraße liegt unter einer unfassbar lauten hochbahntrasse. alle paar minuten muss man sich die ohren zuhalten. am straßenrand verkaufen ältere herrschaften gebrauchtwaren. die frauen tragen gestrickte kleider und kopftuch, die männer schwarze hüte. auf den werbetafeln in den schaufenstern handgeschriebene kyrillsche zeichen. ich kenne russland nur aus dem fernsehen und muss sofort an gerd ruge denken, genau genommen an dessen eigenwillige intonation, die mich jetzt irgendwie recht albern als off-stimme begleitet. eine metro-station weiter steigen wir in sheepshead bay aus. auf der suche nach der bucht hantieren wir zu zweit offenkundig hilflos mit dem stadtplan, als uns ein zahnloser typ von der anderen straßenseite entgegenschleicht. «to the bay?» ausgesprochen freundlich beschreibt er uns den weg, wie hier überhaupt alle sehr freundlich sind. die new yorker werden von ihren landsleuten oft als unhöflich gescholten, aber die müssen sich irren. vermutlich liegt es daran, dass sie noch nie mit berlinern zu tun hatten. «good luck to both of you» verabschiedet sich der zahnlose und versetzt mir einen heftigen punch auf die schulter. am kai dann cannoli & coffee für fünf dollar. ... Comment
mutant, 04.12.11, 22:31
coney island ist super. ... Link ... Comment |
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